VAMOS JUNTOS Bolivien und Deutschland
Seit der Gründung im Jahr 2000 leisten VAMOS JUNTOS Freundeskreis Deutschland – Bolivien e.V. und die gleichnamige Partnerorganisation ONG Asociación de apoyo social y educativo VAMOS JUNTOS soziale Straßenarbeit mit Schuhputzern in La Paz, Bolivien. Gemeinsam setzen wir uns dafür ein, ihre Lebensbedingungen bezogen auf Bildung, Gesundheit und gesellschaftliche Anerkennung nachhaltig zu verbessern. Grundlage für unsere Arbeit sind das Konzept der Hilfe zur Selbsthilfe und die persönliche Begegnung und Begleitung: eine Partnerschaft auf Augenhöhe.
Der Name VAMOS JUNTOS („Lasst uns gemeinsam gehen”) steht für den Gedanken der Solidarität, Freundschaft und der sozialen Verantwortung zwischen Bolivianer*innen und Deutschen, verbunden mit der Umsetzung von Projekten der Hilfe zur Selbsthilfe für die in der Gesellschaft von La Paz unterprivilegierte und diskriminierte Bevölkerungsgruppe der Schuhputzer*innen.
VAMOS JUNTOS bietet seit 2001 die Möglichkeit des Freiwilligendienstes für junge Deutsche in La Paz, Bolivien, an, seit 2002 auch für junge Bolivianer*innen vor Ort. Da wir globale Ungleichgewichte abbauen und eine wirkliche Partnerschaft leben möchten (UN SDG Ziel 17), haben wir 2019 den Antrag auf Aufnahme in die Süd-Nord-Komponente des weltwärts-Programms gestellt, um so Schuhputzer*innen und Kindern von Schuhputzer*innen sowie ehemaligen bolivianischen Freiwilligen von VAMOS JUNTOS die Chance zu geben, an einem Freiwilligendienst in Deutschland teilnehmen zu können, und damit auch zur Erfüllung des 4. SDG Ziels („Bildung für alle – inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten“) beizutragen und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle zu fördern.
Als Vertretung des Netzwerks „Red de Organizaciones para el Voluntariado en Bolivia” hatte VAMOS JUNTOS sich auf den Partnerkonferenzen im andinen Raum schon frühzeitig für die Aufnahme der Süd-Nord-Komponente innerhalb des weltwärts-Programms stark gemacht. Doch erst nach den hervorragenden Erfahrungen und Rückmeldungen des außerschulischen Austauschprojekts „Meine Straße – Deine Straße”. Diskriminierung im Alltag als globale Herausforderung“ im Rahmen der ww-Begegnungen 2017 und auf ausdrücklichen Wunsch der Teilnehmenden und der Mitarbeiterinnen von VAMOS JUNTOS Bolivien sehen wir uns von VAMOS JUNTOS in der Lage, diese Art von Freiwilligendienst auch durchzuführen.
weltwärts ist ein staatlich gefördertes Freiwilligenprogramm und sieht sich als entwicklungspolitischen Lerndienst mit dem Ziel, junge Menschen in ihrem Engagement für die Eine Welt zu unterstützen, Globales Lernen zu fördern und internationale Partnerschaften auf Augenhöhe zu stärken, um so zur Erreichung der 17 Sustainable Development Goals (Ziele für nachhaltige Entwicklung) einen wichtigen Beitrag zu leisten. Der Freiwilligendienst ist offen für alle jungen Menschen zwischen 18 und 28 Jahren; unterschiedliche Biographien, Fähigkeiten und Einschränkungen sind herzlich willkommen und bereichern das Programm.
weltwärts ist ein Gemeinschaftswerk des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und zivilgesellschaftlicher Organisationen. 2008 wurde die Nord-Süd-Komponente ins Leben gerufen, VAMOS JUNTOS gehört zu den ersten 13 anerkannten Entsendeorganisationen. Zur Förderung eines gleichberechtigten Austauschs wurde 2013 die Süd-Nord-Komponente im weltwärts-Programm eingeführt, der jungen Menschen des Globalen Südens die Möglichkeit gibt, einen Freiwilligendienst in Deutschland zu absolvieren. Seit 2019 ist VAMOS JUNTOS auch anerkannte Aufnahmeorganisation in der Süd-Nord-Komponente.
Beide Programmlinien verfügen über ein umfangreiches Qualitätssystem und werden vom BMZ mit bis zu 75 Prozent der Kosten gefördert. Den weiteren Anteil tragen die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die den Dienst durchführen. Die administrative und finanzielle Koordination des Programms verantwortet die Koordinierungsstelle weltwärts von Engagement Global.
Ziele und Wirkungen des Freiwilligendienstes
In der Ausgestaltung der 17 Sustainable Development Goals (Ziele für nachhaltige Entwicklung) wird die Bedeutung der Menschen als Zentrum einer nachhaltigen Entwicklung betont. Bei der personellen Entwicklungszusammenarbeit steht immer der Mensch mit seinen individuellen Bedürfnissen im Mittelpunkt: Jede Entwicklung beginnt und endet beim Dialog mit Menschen und entfaltet sich durch Begegnung; es ist ein Geben und Nehmen, ein Mit- und Voneinander-Lernen. Gleichzeitig verfolgt alle Arbeit der Entwicklungspolitik das Ziel, menschenwürdige Lebensbedingungen auf der ganzen Welt zu schaffen und menschliche Not durch gemeinsames, interkulturelles Handeln zu lindern, den Respekt gegenüber der Diversität von Menschen zu fördern und zu Gerechtigkeit und Frieden in der Welt beizutragen.
Die Freiwilligen absolvieren einen non-formalen Lern- und Bildungsdienst. Wichtig ist dabei der angestrebte Perspektivwechsel auf die gewohnte Lebens- und Glaubensweise und das Herkunftsland sowie eine Revidierung von Stereotypen über den Globalen Norden und den Globalen Süden durch individuelle Erfahrungen. Das Bild einer hierarchischen Abstufung zwischen „entwickelten“ Industrieländern und politisch, wirtschaftlich und kulturell rückständigen „Entwicklungsländern“ soll aufgebrochen werden. Dies umschließt ein kritisches Verständnis des Begriffes von Entwicklung und historischen Prozessen überhaupt, die scheinbar eindeutig in die Richtung der westlichen Moderne verlaufen. Daraus ermöglicht sich ein neues Verständnis globaler Zusammenhänge, aber auch des Platzes und der Verortung der eigenen Identität in diesem transkulturellen Geflecht. Nur so kann eine selbstbestimmte politische Mitgestaltung in globalen Zusammenhängen gestärkt werden. Ganz bewusst brechen wir auf beiden Seiten mit dem weißen Überlegenheitsdenken und stellen das gemeinsame Mit- und Voneinander-Lernen, die Chancengleichheit und unsere partnerschaftliche Zusammenarbeit in den Vordergrund. So werden sowohl Impulse für die Inlandsarbeit in beiden Ländern gesetzt als auch durch engagierte Freiwillige, die als Multiplikator*innen in ihre Herkunftsländer zurückkehren, dort die Zivilgesellschaften gestärkt und eine kritische Auseinandersetzung mit bestehenden Machtungleichheiten angeregt. Der Freiwilligendienst eröffnet umfassende Möglichkeiten des „Globalen Lernens“ und motiviert und stärkt die Teilnehmenden für ein über den Freiwilligendienst hinausreichendes entwicklungspolitisches, gesellschaftliches Engagement.
Durch den Austausch mit Freiwilligen werden zudem auch bisher nicht angesprochene Zielgruppen in Deutschland und Bolivien für die Auseinandersetzung mit entwicklungspolitischen Zusammenhängen erreicht und sensibilisiert. Dabei spielt das Prinzip des „Dialogs auf Augenhöhe“ zwischen den beteiligten Freiwilligen, der Zielgruppe und den Mitarbeiter*innen im Projekt bzw. der Einsatzstelle, ggf. der Gastfamilie sowie den Mitgliedern von VAMOS JUNTOS Deutschland und Bolivien eine entscheidende Rolle. Von Beginn an wird deshalb auf eine gute Beziehung zwischen den Freiwilligen und allen beteiligten Akteur*innen großen Wert gelegt. Fest eingebunden in den Einführungs- und Begleitungsprozess sind ehemalige Freiwillige von VAMOS JUNTOS, wodurch gleichzeitig die Vernetzung von Nord-Süd- und Süd-Nord-Freiwilligen gefördert wird.
Der Freiwilligendienst bietet Gelegenheit zum Aufbau enger persönlicher Beziehungen zwischen Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, in denen beide Seiten positive Erlebnisse miteinander teilen und voneinander lernen können. Durch den intensiven persönlichen Kontakt werden die Freiwilligen als selbstbestimmte Persönlichkeiten wahrgenommen; vor allem die bolivianischen Freiwilligen bieten somit einen starken Kontrast zur medial verbreiteten Darstellung von Menschen aus dem Globalen Süden als passive Empfänger*innen von Hilfe. Sie befinden sich in einer Sprecher*innenrolle, die Personen aus dem Globalen Süden im gesellschaftlichen Diskurs in Deutschland normalerweise nicht zugestanden wird, und haben so die Möglichkeit, Stereotype über Bolivien durch individuelle, konkrete Eindrücke und Erzählungen abzubauen und die Südperspektive noch stärker in unsere Arbeit miteinzubringen.
Durch die praktische Arbeit und den damit einhergehenden Wissens- und Erfahrungstransfer, die zwischenmenschlichen Begegnungen und den interkulturellen Austausch entwickeln sich die Freiwilligen persönlich weiter. Die Arbeit soll ihnen die Chance bieten, selbst einen Beitrag zur sozialen Hilfe zu leisten und Möglichkeiten zu entdecken, Wege und Mittel zu finden, die geeignet sind, die Potentiale der Selbststeuerung der betroffenen Menschen zu unterstützen. So werden sie selbst zu Handelnden, engagieren sich, werden Teil von Veränderungsprozessen und Mitgestalter*innen der Einen Welt.
Auf die Nord-Süd-Komponente bezogen möchten wir jungen Menschen insbesondere die Möglichkeit bieten, die soziale Straßenarbeit mit Schuhputzer*innen und ihren Familienangehörigen in La Paz kennenzulernen und sich selbst in die Arbeit mit einzubringen. Sie bekommen einen intensiven Einblick in die Lebensrealität der Schuhputzer*innen, haben einen sehr engen Kontakt zu ihnen auf der Straße, führen mit den Sozialarbeiterinnen Hausbesuche durch, begleiten Personen zum Arzt oder machen Krankenhausbesuche, etc. In der sozialen Straßenarbeit unterstützen die Freiwilligen die Schuhputzer*innen und ihre Familien, so dass diese in der Lage sind, über den Weg der Ausbildung und Arbeit aus eigener Kraft ihre soziale Isolation und Diskriminierung zu überwinden und sich selbst Grundlagen zu schaffen für eine qualitativ befriedigende Lebenssicherung und eine aktive Teilnahme am öffentlichen gesellschaftlichen Leben. Wichtig ist dabei die Unterstützung eines individuellen Selbstwertgefühls, das auf der Basis einer realistischen Einschätzung von persönlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten den Mut und die Energie mobilisiert, eigene Kompetenzen zu entwickeln, um belastende Lebensumstände zu verändern.
Ihre Aufgabe liegt vor allem darin, im regelmäßigen Kontakt mit den Schuhputzer*innen und ihren Familienangehörigen das von VAMOS JUNTOS initiierte Sparprogramm durchzuführen, die Zielgruppe über Unterstützungsformate und Aktivitäten zu informieren, relevante soziale Notlagen wahrzunehmen und notwendige Hilfe der Organisation in die Wege zu leiten. In Begleitung von bolivianischen Sozialarbeiterinnen sind sie zudem in der sozialen Familienarbeit sowie in der ambulanten Hilfe der begleitenden Gesundheitsfürsorge tätig (SDG 3 Gewährleisten gesunden Lebens für alle Menschen und Förderung ihres Wohlergehens).
Außerdem übernimmt jede*r von ihnen in Zusammenarbeit mit einer Mitarbeiterin die Verantwortung zur Durchführung eines Projektes bzw. mehrerer Projekte. Dieses können sie sich selbst nach ihren Interessen und Fähigkeiten aussuchen, ein Wechsel ist auch möglich. Zu diesen Projekten zählen: In Würde altern (Projekt mit schuhputzenden Senior*innen), Frauen mit eigenem Glanz (SDG 5 Geschlechtergleichheit), Postkartenerstellung, Grupo Esperanza (Arbeit mit alkoholabhängigen Schuhputzer*innen) und Sport für La Paz (regelmäßiges Sportprogramm für Schuhputzer*innen).
Ein wichtiger Bestandteil in der direkten Arbeit mit den Schuhputzer*innen, die aufgrund ihrer Arbeit diskriminiert und marginalisiert werden, aber auch in der Öffentlichkeitsarbeit ist für uns das SDG 8 der menschenwürdigen Arbeit. So sensibilisieren wir bspw. in Workshops in Schulen und Universitäten Schüler*innen und Studierende für Menschenrechte, Interkulturalität und Diskriminierung und schaffen einen Raum, in dem die jungen Menschen Schuhputzer*innen treffen, die ihre Lebenserfahrung mit ihnen teilen und über Arbeits- und Familienfragen sprechen. Auf diese Weise geben wir den Schuhputzer*innen eine Stimme und eröffnen den Dialog und den direkten Kontakt, um Vorurteile und Diskriminierung abzubauen und das Bild der Schuhputzer*innen positiv zu verändern. Die Freiwilligen haben die Möglichkeit, sich in diese Workshops, aber auch in Seminare anderer Projekte, in denen u.a. das SDG 5 Geschlechtergleichheit immer auch Bestandteil ist, aktiv und kreativ mit ihren Ideen einzubringen. Seit den innenpolitischen Unruhen im Oktober/November 2019 sowie dem Ausbruch der COVID-19 Pandemie spielen auch die SDG 1 und 2 (Armut in allen ihren Formen und Hunger beenden) in unserer Arbeit eine wichtige Rolle, da die täglichen Einnahmen der Schuhputzer*innen über viele Monate hinweg durch die strikten Ausgangssperren vollkommen weggebrochen waren und ihre Situation nach wie vor sehr schwierig ist.
Jede*r Freiwillige ist für unterschiedliche Personengruppen zuständig. Lediglich bei übergreifenden Aktivitäten wie Ausgabe von Schulmaterialien und Lebensmitteln (seit den politischen Unruhen im Herbst 2019 und dem Ausbruch der COVID-19 Pandemie) oder Begehen von Feiertagen (bspw. Kinder-, Vater-, Muttertag, Tag der Schuhputzenden, Tag des Ehrenamtes, Allerheiligen, Weihnachten) nehmen alle Freiwilligen gemeinsam teil. In Koordination mit den anderen Teammitgliedern organisieren die Freiwilligen darüber hinaus diverse Bildungsangebote (Seminare, Berufsberatung) und Freizeitaktivitäten (Ausflüge, Feste, Musik) für die verschiedenen Gruppen.
Durch die intensive Kontaktnahme mit Menschen sollen die Freiwilligen von und mit anderen lernen können und Einblick gewinnen in eine für sie vollkommen neue Kultur sowie Achtung erwerben für die in ihr tradierten Lebenswerte und Glaubensweisen. Der Freiwilligendienst soll einen Beitrag leisten zur Sensibilisierung der Verantwortung aller für die Schaffung einer gerechteren und friedvolleren Welt und in der Beziehung zwischen Deutschland und Bolivien Kontakte aufbauen bzw. festigen.